Freitagsflirt

(zum Donnerstagsdrama)

Es schüttet. Der Regen hat das Flimmern vom Horizont gewaschen. Eigentlich hat er den gesamten Horizont weggewaschen und den Himmel einfach mit dem Meer verbunden.

Weil ich nicht auf den Horizont starren kann, fahre ich ins Hinterland. Hier brennt die Sonne und lässt den Regen der Nacht wieder auferstehen. Er steigt auf wie ein Saunaaufguss. Die feuchte Luft legt sich klebrig auf die Haut und kriecht wie Sirup bis in die Bronchiolen.

Wie ein Schlafwandler steuere ich das Dorf an. Sein Dorf. Es ist Markttag. Rentner schieben ihre Gehwagen von Stand zu Stand. Sie ziehen ihre Hackenporsches von Plausch zu Plausch. Natürlich ist er da. Er verkauft den Rentnern den weißesten Blumenkohl. Immer mit strahlendem Lächeln. Wie in einem kitschigen Schmonzettenfilm treffen sich unsere Blicke quer über den Platz. Er grinst und hebt grüßend die Hand. Ich bin nicht sicher, ob er mich meint. Seit fast 20 Jahren kennen wir uns. Seit fast 20 Jahren bin ich in ihn verknallt. Seit fast 20 Jahren würde ich das niemals zugeben.

Ich spiele mit den Fingerspitzen mit dem Papierbällchen in meiner Hosentasche. Ich wollte es schon längst entsorgt haben. Er verkauft Blumenkohl. Ich fische das Bällchen aus der Tasche und entfalte das Papier. Ich tippe die knittrigen Zahlen in mein Handy. Um mich herum werden die Fäden des Internetzes der Alten gezogen. Informationsflüsse, die jahrhundertelang entwickelten Algorithmen folgen. Ich öffne eine neue Nachricht. Ich denke viel zu lange nach. Ich denke an die Erektion an meinem Arsch. Schließlich schicke ich dem Typen aus der Bar von neulich Abend ein Auberginen-Emoji. Ich bin so stumpf.

Und so dämlich! Wer weiß, wie viele Frauen ihm Auberginen-Emojis schicken. Ich atme tief durch. Dann tippe ich Grüße in mein Handy und meinen Namen. Und bereue es sofort. Ich bin so unlässig.

Ich blicke auf. Makelloser Blumenkohl. Makelloses Lächeln. Makellose Muskeln. Fleischgewordener Sex. Mein Handy vibriert. Der Bartyp schickt ein Tränen lachendes Emoji. Dann: „Heute Abend?“ Ich blicke auf. Makellose Konversation mit schwerhörigen Kunden. Makelloses Haar. Makellose Kieferpartie. Wieder treffen sich unsere Blicke. Makelloses Lächeln. Ich winke zum Abschied und kehre zum Auto zurück. Vielleicht wird ja nächstes Jahr was aus uns.

(zur Sonnabendsonate)


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2 Antworten auf „Freitagsflirt

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