Kurz bevor die Katastrophe hereinbricht, wird das Licht weich. Satte, dicke, gelbe Strahlen lassen die Luft wärmer wirken, als sie ist. Der See glitzert, der Wald rauscht, der Wind bricht das Lachen. Das Licht kommt von der Seite und streichelt Blau, Grün, Gelb und alles zusammen. Es mischt sich zu Rot. Sattem, dicken Rot. Blutrot. Blut breitet sich auf dem Bürgersteig aus. Dickes, dunkles, warmes Blut auf dem dunklen, warmen Beton. Es sickert eine Ritze entlang und den Kantstein hinunter in die Ablaufrinne. Die Zeit rast und bleibt stehen. Der Wind hat das Lachen gebrochen und die dicken, gelben Strahlen davongeweht. Die Luft wirkt kälter, als sie ist.
Kurz nachdem die Katastrophe hereingebrochen ist, ist das Licht hart geworden. Kaltes, weißes Neonlicht erbricht sich erbarmungslos und stocksteif auf den Linoleumboden. Variationen und Grau und Kackblau. Nichts glitzert. Niemand lacht. Die Zeit kriecht klebrig durch alle Ritzen. Klebrig wie das Blut an meinen Händen.
Am Tag, nach dem die Katastrophe hereingebrochen ist, ist das Licht weich. Freundlich klopft es an mein Fenster und fließt hinein. Meine Augen sind schwerer als das Leben. Das Leben ist so schwer, dass es mich tief in die Matratze presst. Irgendwo bricht sich das Licht und malt in fröhlichen Farben an die Decke über mir. Ich bin wach und das Licht ist weich. Wenn das Licht weich ist, kann keine Katastrophe hereingebrochen sein. Die Zeit tanzt einen vergnügten Tanz mit den Regenbogenfarben an der Zimmerdecke.
Ich hatte einen Alptraum. Oder war es das Leben?
Ich hebe meine Hand in einen satten, dicken, gelben Lichtstrahl. Unter einem Fingernagel klebt etwas Dunkles. Bräunliches. Die Zeit fällt polternd von der Zimmerdecke und kracht wie ein Felsbrocken auf das schwere Leben. Unter meinem Fingernagel klebt getrocknetes Blut. Ein Relikt aus dem Alptraum ausgegraben im Leben. Im warmen Licht des Tags, nach dem die Katastrophe hereingebrochen ist, bröckelt es in meine Handfläche: das Blut meiner Schwester.
(2. Zorn)
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