5. Desorganisation

(4. Schuldgefühle)

Weiches Licht fließt durchs Fenster und streichelt mich wach. Ich fühle mich ungewohnt heiter. Ich will meiner Schwester von meinem verrückten Traum erzählen.

Ich halte die Klinke ihrer Zimmertür in der Hand und schreie meine Wut in das Holz. Ich kauere vor ihrer Zimmertür und schluchze.

Ich stehe am Waschbecken und starre auf die Zahnbürste. Ist es im Angesicht der hereingebrochenen Katastrophe nicht eigentlich total egal, ob ich meine Zähne putze oder nicht?

Ich stehe am Waschbecken und starre auf meine Hände. Ich wasche meine Hände wieder und wieder. Noch immer spüre ich dass klebrige, trocknende Blut an ihnen. Ich seife sie ein, schrubbe sie mit der Nagelbürste. Der brennende Schmerz befreit mich für einen Moment von den brennenden Gedanken. Blut ist an meinen Händen. Helles, frisches Blut. Mein eigenes Blut.

Ich stehe am Waschbecken und starre auf meine Hände. Der Anblick legt sich wie eine Interferenz über die Erinnerung. Die Erinnerung an das dicke, dunkle Blut an meinen Händen. Das Blut meiner Schwester.

Vielleicht kann ich mich irgendwann von dieser Erinnerung lösen. Vielleicht ist ihr Blut irgendwann nicht mehr das Erste, was ich sehe, wenn ich auf meine Hände sehe. Vielleicht trägt mein eigenes Blut zu meiner Heilung bei. Vielleicht gibt es ein Leben danach.

Aber wenn ich aufhöre, mich an ihr Blut zu erinnern, höre ich dann auch auf, mich an sie zu erinnern? Will ich das? Darf ich das? Meine Kehle schnürt sich zu und ich starre auf meine Hände. Ich starre auf meine Hände und denke an ihr Blut.

(6. Depression)


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