2. Zorn

(1. Leugnen)

6:52 Uhr. Um 6:52 Uhr fährt der Bus in die Stadt. Der Bus, der mich nach 48 Minuten Fahrtzeit mehr als rechtzeitig zum Schulbeginn vor der Oberschule des Grauens in die Kälte spuckt. Um 6:52 Uhr ist der Bus in die Stadt abgefahren. Und ich bin stehen geblieben. Stehen geblieben im kalten, grauen, alles umschlingenden Nebel. Der Bus ist ohne mich abgefahren. Seit 48 Minuten stehe ich an der Bushaltestelle und betrachte den Nebel. Die dicken Nebeltropfen, die durch die Luft schleichen wie ihre nächste Verwandte, die Zeit.

Die Zeit vergeht und mit ihr das Leben. Ich bin aus ihm ausgestiegen wie aus dem Bus. Ich betrachte es von der Seite wie ein Zuschauer. Es kriecht vor sich hin und ist unbeirrbar banal. Es macht überhaupt keine Anstalten, seiner Banalität zu entkommen. Jeden Tag steht es auf, klopft sich den Schlaf aus dem Pelz und ist weiter einfach nur banal. Essen, gehen, fahren, reden, lernen, lachen, scheißen, weitermachen.

Ich will es packen, schütteln, ohrfeigen, anschreien. Was fällt ihm ein! Die Katastrophe naht, kommt, geschieht, geht vorüber und das Leben klopft sie sich aus dem Pelz und kriecht weiter. Es kriecht einfach weiter! Es ist ihm ganz egal. Es ist ihm einfach total egal.

Mir aber nicht! Mir ist es nicht egal. Deswegen bin ich ausgestiegen. Deswegen stehe ich hier im Nebel, mitten im Nirgendwo, um 7:40 Uhr, 48 Minuten nach Abfahrt des Busses. Und ich schreie. Ich schreie in den Nebel bis die Tropfen zittern. Und das Leben kriecht weiter.

(3. Verhandeln)


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